Mit der Dagmar Aaen und Arved Fuchs auf dem nördlichsten Seeweg
Aus dem Vorwort von Arved Fuchs zum Skizzenbuch
Die Idee, einen Expeditionsmaler mitzunehmen, ist nicht neu, und sie stammt keineswegs von mir. Vor dem Zeitalter der Fotografie war der Maler stets ein fester und wesentlicher Bestandteil einer Expeditionsmannschaft, und selbst später, als man längst fotografierte und auch filmte, war der malende Chronist meist dabei. Alexander von Humboldt, Julius Payer, Fridtjof Nansen, Georg Steller oder James Cook, um nur einige Namen zu nennen: Sie alle zeichneten selbst oder hatten einen Maler dabei. Wenn ich nicht schon auf früheren Expeditionen einen Künstler mitgenommen habe, dann einzig aus dem Grund, dass ich keinen gefunden habe. Jemanden aufzutreiben, der gleichermaßen belastbar ist, Spaß am Segeln unter polaren Bedingungen hat, der die Enge an Bord und die fehlende Privatsphäre nicht scheut, der teamfähig ist und trotz der alltäglich anfallenden Schiffsarbeiten noch malen kann, ist eine kaum lösbare Aufgabe. Bis ich Rainer Ullrich traf! Rainer besitzt mit seiner FRIEDA ein ganz ähnliches Schiff wie meine DAGMAR AAEN. Ein wenig kleiner ist sie, aber von gleichem Typ. Schiffe wirken wie Katalysatoren. Sich kennenlernen und anfreunden war nur eine Frage der Zeit. Rainers ruhige, bedächtige Art, seine seemännische und menschliche Kompetenz und natürlich seine Kunst faszinierten mich. Als wieder einmal beide Schiffe im Museumshafen von Flensburg lagen, fasste ich mir ein Herz und sprach ihn von Schiff zu Schiff aus an. Der Dialog war, wie es Norddeutschen geziemt, kurz und bündig:
"Hast Du Lust, mit auf die nächste Expedition zu gehen?"
"Wo soll es denn hingehen?"
"Durch die Nordostpassage nach Alaska."
Rainer brauchte nicht viel Zeit zum Nachdenken:
"Ja, warum eigentlich nicht? Wenn Du meinst, dann bin ich wohl dabei!"
Damit war unsere Absprache besiegelt. Rainer war Feuer und Flamme. Ich freute mich wie ein Schneekönig darüber, ihn im Team zu haben – der Rest war Planung, Vorbereitung, Training und für Rainer ungewohnter Zeitstress, den es vor jeder neuen Expedition gibt. Anfang Juli 2002 stieg Rainer in Tromsoe zu und begann sofort mit dem Malen. Ich, der ich bestenfalls mit dem Lineal gerade Striche ziehen kann, war fasziniert von der Art, was er mit Farben, Stiften, Fingern und Pinsel zu Papier brachte. Diese Faszination übertrug sich auf alle an Bord. Aber nicht nur, dass wir von den neu entstandenen Bildern oder der Art, wie sie entstanden, begeistert waren – Rainer lehrte uns auch die Dinge bewußter und mit anderen Augen zu sehen. Wahrnehmung ist nicht gleich Wahrnehmung, und hierin war er uns allen voraus. Wir sahen plötzlich bewußter, nahmen Details und Farbnuancen auf, die ansonsten im Unterbewußtsein verschwunden wären. Rainer fertigte nicht einfach Bilder – er band uns mit ein, ließ uns alle teilhaben. Die Kunst hat Freiheiten, die die Fotografie oder der Film nicht hat. Rainer Ullrich konnte sich in seinen Bildern vom Schiff Lösen, er konnte aus der Vogelperspektive schauen oder von einem Berg oder einer weit entfernten Eisscholle aus Panoramen entstehen lassen. Kein Tag verging, an dem er nicht an Deck saß oder stand, alles um sich herum vergaß und trotz Gischt, Kälte und Wind schaute und malte. Jeden Tag. Bisweilen vergaß er fast sich selbst dabei, und ich entsinne mich gut daran, wie dann ein anderes Crewmitglied auf "unseren" Maler achtete, damit ihm nichts wegwehte oder er womöglich bei den heftigen Schiffsbewegungen über Bord ging. Entstanden ist dabei, wie ich finde, eine einzigartige, sinnliche Dokumentation über eine ungewöhnliche Polarreise. Die Stimmungen, die aus seinen Bildern sprechen, spiegeln die Intensität und die Faszination der Arktis wider. Um so mehr freut es mich, dass ein Teil seiner schönsten Form publiziert und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ich wünsche Rainer Ullrich und seinem Buch, dass es möglichst viele Menschen betrachten werden – und mir wünsche ich, dass er möglich bald einmal wieder mit auf eine Expedition geht. Ich werde wohl demnächst mal wieder in Flensburg die DAGMAR AAEN neben sein FRIEDA legen...
Arved Fuchs
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